Das Glashaus Deutschland: Warum unsere Infrastruktur beim nächsten Angriff zerbricht

von Redaktion — über |

Gastbeitrag von André Schmitt, ehemaliger KSK-Soldat und heutiger Berater für KRITIS, Behörden und VIPs

Glashaus_Deutschland_logo.jpg

Deutschland hält sich gerne für ein Hochtechnologieland, dessen Stromnetze, Kommunikationssysteme und Krankenhäuser auch in Krisen zuverlässig funktionieren. Schaut man jedoch genauer hin, zeigt sich ein erschreckendes Bild: Unsere kritische Infrastruktur ist nicht robust, sondern ein Glashaus. Auf dem Papier existieren Normen, Standards und Prüfverfahren. In der Realität sind Schutz und Resilienz kaum mehr als eine Illusion.

Internationale Vorgaben wie die IEC 61000-5-10 oder militärische Standards wie MIL-STD-188-125 definieren seit Jahren, wie Anlagen gegen elektromagnetische Pulse (EMP) und Hochleistungs-Mikrowellen (HPEM) getestet werden sollen. Diese Verfahren reichen von Schirmdämpfungsmessungen bis zu realen Feldtests. Doch umgesetzt wird davon in Deutschland fast nichts. Im zivilen Bereich beschränken sich Betreiber oft auf erweiterten Blitzschutz – ein Alibi, das mit echtem EMP-Schutz so viel zu tun hat wie ein Regenschirm mit einem Tornado. Einzelne Komponenten werden geprüft, aber niemals die Systeme im Verbund. Die Folge: Fällt eine Steuerungs-IT bei niedriger Belastung aus, ist es egal, ob der Transformator im Labor „standhält“. Wer glaubt, Sicherheit durch Papiernormen zu erreichen, betreibt Selbsttäuschung.

Noch gefährlicher als die technische Lücke ist die menschliche Schwachstelle. Kritische Infrastruktur hängt am Fachpersonal, das schon im Normalbetrieb am Limit arbeitet. Wenn Spezialisten krank werden, ihre Familien versorgen müssen oder selbst Opfer einer Krise werden, bricht der Betrieb sofort zusammen. Anders als im Militär gibt es keine Reservisten, keine Ersatzorganisationen, keine zweite Reihe. Selbst die modernste Anlage ist wertlos, wenn niemand mehr da ist, um sie zu betreiben.

Parallel laufen die Versorgungsketten wie Dominosteine ineinander. Fällt der Strom aus, stehen binnen Stunden Pumpwerke still, Wasser wird knapp, Abwasser staut sich zurück. Kühlketten reißen, Dieselreserven für Notstromaggregate halten nur wenige Tage. In Krankenhäusern bedeutet das: Intensivstationen verlieren ihre Funktionsfähigkeit, Operationen müssen abgebrochen werden. In der Logistik: volle Supermärkte werden zu leeren Hallen, Medikamente bleiben stecken, Tankstellen sind trocken. Gleichzeitig kollabiert die Kommunikation. Mobilfunk, Internet, Behördenfunk – alles hängt am Strom. Wenn Informationen ausbleiben, übernimmt Panik die Regie. Wer einmal gesehen hat, wie Menschen in einem Informationsvakuum reagieren, weiß: Chaos entsteht nicht nach Wochen, sondern nach Stunden.

Das Ergebnis ist eine Gesellschaft, die keine Puffer hat. Mitarbeiter bleiben zuhause, weil sie ihre Familien schützen müssen. Vertrauen in den Staat zerbricht, und plötzlich werden Transformatoren, Krankenhäuser und Leitstände zu Symbolen eines gescheiterten Systems – und damit zu Zielen. Plünderungen, Angriffe und Blockaden sind keine Nebenerscheinungen, sondern integraler Bestandteil solcher Krisen. Deutschland plant seine Krisenbewältigung aber immer noch mit den Annahmen der Friedenszeit: dass Menschen loyal bleiben, dass Lieferketten stabil sind, dass Kommunikation funktioniert. Aus meiner Erfahrung als ehemaliger KSK-Soldat und heutiger Berater für Behörden und Betreiber kritischer Infrastruktur sage ich klar: Diese Annahmen sind brandgefährlich. Unsere Zivilisation ist nicht robust. Sie ist brüchig wie Glas.

Und während wir uns in falscher Sicherheit wiegen, entwickeln Angreifer längst neue Methoden. Supply-Chain-Hacking ermöglicht es, manipulierte Hardware oder Software schon vor der Inbetriebnahme einzuschleusen. Aktiviert im Ernstfall, wirken sie wie Sabotage von innen – und verstärken externe Angriffe dramatisch. Drohnen, klein und unauffällig, lassen sich mit mobilen HPEM-Sendern bestücken und direkt an Transformatoren oder Rechenzentren einsetzen. Was früher eine Rakete brauchte, gelingt heute mit einem Rucksackgenerator. Hinzu kommt die Kombination: Cyberangriffe, Sabotage, Drohnen und elektromagnetische Impulse, zeitgleich koordiniert. Professionelle Hacker, linksextreme Netzwerke, islamistische Terrorgruppen oder staatlich gesteuerte Akteure aus dem BRICS-Umfeld haben längst verstanden, wie verletzlich unser System ist. Deutschland ist für sie ein leichtes Ziel.

Die Realität ist: Unsere Schutzmaßnahmen sind mindestens zehn bis fünfzehn Jahre veraltet. Während Staaten wie Israel oder die USA in redundante Systeme, robuste Stresstests und verpflichtende Standards investieren, herrscht hierzulande Bürokratie, Verdrängung und Kostenabwägung. Verantwortliche vertrauen auf Normen, deren Einhaltung weder kontrolliert noch durchgesetzt wird. Damit lebt Deutschland in einer Illusion von Sicherheit, die im Ernstfall keinen Tag trägt.

Mein Urteil ist eindeutig: Auf dem Papier existiert Schutz. In der Realität existiert er nicht.

Wenn wir diese Lücke nicht schließen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis der nächste Angriff unsere Zivilisation an ihrer empfindlichsten Stelle trifft – und das Glashaus Deutschland zerbricht.

Glashaus_Deutschland_2_logo.jpg