Ein Besuch auf dem Ğ1-Markt in Eutingen zeigt, wie Menschen ein neues Miteinander schaffen – frei, kreativ und ohne Zwang.

Es riecht nach Holz und Kräutern, Menschen lachen, tauschen Waren und Ideen, helfen einander. Kein typischer Wochenmarkt – und doch ist hier alles „Markt“ im besten Sinne: Begegnung, Austausch, gelebte Gemeinschaft.
Wir sind in Eutingen, einem kleinen Ort im Schwäbischen, auf dem Ğ1-Markt – einem Treffpunkt für Menschen, die das Experiment wagen, eine freie Währung zu leben.
Geld ohne Zwang, Gemeinschaft ohne Hierarchie
„Das ist kein Schuldgeld, das ist Freigeld“, erklärt Dirk Hüther, einer der Ğ1-Enthusiasten aus Süddeutschland. Die digitale Währung, „June“ ausgesprochen, wurde in Frankreich entwickelt und funktioniert nach völlig anderen Prinzipien als der Euro.
Sie entsteht nicht durch Schulden, sondern durch Menschen. Jeder, der sich im Netzwerk zertifizieren lässt, erhält täglich eine sogenannte Universelle Dividende (DU) – ein gleich großer Betrag für alle.
„Das ist Geld, das nicht im Mangel existiert, sondern aus der Fülle heraus entsteht“, sagt Hüther. Die Idee: Jeder Mensch ist Geldschöpfer. Niemand wird ausgeschlossen, niemand bevorzugt.
Vom Kaufen zum Teilen
Was auf den ersten Blick kompliziert klingt, ist in Eutingen erstaunlich einfach erlebbar. Auf dem Markt werden Kräuter, Salben, Marmeladen, Holzarbeiten, Selbstgemachtes und kleine Dienstleistungen angeboten.
Es gibt keine festen Preise, kein Feilschen, kein Rabattdenken. Stattdessen spürt man eine neue Kultur des Wertschätzens.
Ein Freigeld-Frischling berichtet: „Ich habe heute etwas gekauft – und der Verkäufer wollte zu wenig. Ich habe ihm mehr gegeben, weil ich weiß, wie viel Arbeit darin steckt.“
Das passiert hier öfter: Menschen schenken freiwillig mehr June, weil sie den Wert hinter dem Produkt fühlen.
Lernen, was man wirklich kann
Eine Frau erzählt, sie habe anfangs nur Flohmarktartikel mitgebracht. Heute stellt sie eigene Naturheilmittel her – aus Begeisterung.
„Dieses Umfeld inspiriert dich einfach. Du überlegst: Was kann ich beitragen? Was kann ich herstellen?“
So entsteht ein neues Selbstverständnis: Weg vom Konsumenten, hin zum Produzenten. Wer früher einfach einkaufte, entdeckt hier, dass er Fähigkeiten besitzt, die im normalen Wirtschaftssystem kaum sichtbar sind.
Vertrauen statt Kontrolle
Das Herzstück der Ğ1 ist das Vertrauensnetzwerk. Neue Mitglieder werden nicht anonym registriert, sondern persönlich eingeladen und zertifiziert – von mindestens fünf bestehenden Mitgliedern, die sie kennen.
So bleibt das System lebendig, ehrlich und menschlich. „Es geht um Begegnung, nicht um Überwachung“, sagt Hüther. „Das ist gelebte Verantwortung statt Kontrolle von oben.“
Und tatsächlich: Man spürt hier nicht die Kälte eines digitalen Systems, sondern Herzenswärme. Menschen begegnen sich, sehen einander, tauschen – von Mensch zu Mensch.
Eine internationale Idee
Die Freigeld-Idee stammt aus Frankreich und geht auf den Ingenieur Stéphane Laborde zurück. Seine Theorie der „Relativen Währung“ (TRM) bildet die Grundlage für die Ğ1.
Heute gibt es bereits Tausende aktive Nutzer in Frankreich, Spanien, Belgien, Österreich, der Schweiz und auch in Deutschland.
Manche nennen Ğ1 deshalb die „internationalste Regionalwährung der Welt“ – lokal verwurzelt, aber weltweit vernetzt. Wer in Frankreich, Spanien oder sogar Südamerika einen Markt besucht, kann dort mit derselben Währung handeln.
Sinn statt Rendite
„Bei Ğ1 kannst du nicht reich werden – und genau das ist das Schöne“, sagt ein weiterer Teilnehmer. „Das Geld verliert nach etwa 40 Jahren seinen Wert. Es ist zum Umlauf geschaffen, nicht zum Horten.“
Damit bricht Ğ1 radikal mit den alten Prinzipien des Kapitalismus: Geld dient hier dem Tausch und Miteinander, nicht der Macht.
Eine Bewegung, die organisisch wächst
In Deutschland stehen die Ğ1-Märkte noch am Anfang. Eutingen ist einer der ersten Orte im Südwesten, wo sich eine feste Gruppe regelmäßig trifft – alle vier bis sechs Wochen. Weitere Märkte entstehen in Bayern, im Rheinland und bald vielleicht auch im Rhein-Main-Gebiet? Interesse? Dann melden Sie sich bei der KLARTEXT Redaktion! Das Interesse wächst, denn viele Menschen spüren: Die Zeit ist reif für neue Wege.
Eine andere Welt ist möglich
Was wäre, wenn wir alle wieder das einbringen, was wir wirklich können – unsere Talente, unsere Kreativität, unsere Menschlichkeit?
Wenn Geld nicht mehr trennen würde, sondern verbinden?
Wenn wir auf Augenhöhe miteinander handeln – ohne Zwang, ohne Überwachung, ohne Angst?
Der Ğ1-Markt in Eutingen zeigt, dass genau das möglich ist. Hier wird ein Stück Zukunft bereits gelebt – eine Wirtschaft von unten, menschlich, ehrlich und frei.
🎥 Zum Videobericht aus Eutingen Das komplette Interview mit Dirk Hüther, Michael und weiteren Marktteilnehmern findet Ihr auf KLARTEXT Rhein-Main / Dauerwelle DemoReport.