Ein Beitrag von Dr. Ulrich von Spangenberg
Wer war Machiavelli?
Niccolò Machiavelli (1469–1527) war ein florentinischer Diplomat, Philosoph und Schriftsteller der italienischen Renaissance. Als scharfer Beobachter politischer Machtspiele schrieb er mit Il Principe (Der Fürst) eines der einflussreichsten Werke der politischen Theorie. In diesem pragmatisch-realistischen Leitfaden beschreibt er, wie ein Herrscher Macht erlangen, sichern und ausbauen kann – notfalls auch durch Täuschung, Manipulation und Gewalt. Machiavelli gilt seither als Begründer der modernen Machtpolitik, sein Name steht bis heute für eine Politik, in der Zweckmäßigkeit über Moral triumphiert. Sein Denken wirkt aktueller denn je – wie ein Blick auf die politische Realität im heutigen Deutschland zeigt.
Berlin – Vor über 500 Jahren schrieb Niccolò Machiavelli sein berühmtes Werk Der Fürst – eine nüchterne Anleitung zur Machtpolitik, die bis heute nichts an Brisanz verloren hat. Ursprünglich als Handbuch für Fürsten im Zeitalter der Renaissance verfasst, wirkt es heute wie ein Kommentar zur politischen Realität im demokratischen Deutschland. Täuschung, moralische Inszenierung, Herrschaft durch Angst und die klare Vorrangstellung des Machterhalts vor moralischen Prinzipien: Was Machiavelli formulierte, lässt sich auch in der Bundesrepublik tagtäglich beobachten.
Macht um jeden Preis – der Machterhalt als oberstes Prinzip
Machiavellis zentrale These lautet: Ein Herrscher muss seine Macht sichern – koste es, was es wolle. Moral ist dabei zweitrangig, entscheidend sind Erfolg und Stabilität. Auch in der heutigen Bundespolitik hat diese Maxime Einzug gehalten. Koalitionsbildungen nach Wahlen orientieren sich häufig nicht an programmatischen Übereinstimmungen, sondern an strategischer Machtsicherung. Ein prominentes Beispiel: Die SPD, die 2018 zunächst ein klares „Nein“ zur Großen Koalition aussprach, regierte am Ende doch wieder mit der CDU. Parteitaktik schlägt Programmtreue.
Ein aktueller Fall ist Kanzler Friedrich Merz (CDU): Vor der Bundestagswahl 2025 schloss er eine Aufweichung der Schuldenbremse kategorisch aus. Doch kaum im Amt, bewilligte seine Regierung ein milliardenschweres, schuldenfinanziertes Sondervermögen. Für Machiavelli ein klassisches Beispiel für kluge, zweckdienliche Flexibilität.
Der Schein von Tugend – Politik der Täuschung
„Ein Fürst muss nicht tugendhaft sein, sondern nur den Anschein davon wahren“, schreibt Machiavelli. Auch diese Erkenntnis spiegelt sich in der deutschen Gegenwart wider. Wahlversprechen dienen oft nur dem Stimmenfang – nicht der Umsetzung. Merz etwa kündigte eine harte Migrationspolitik an, inklusive Grenzkontrollen und Rückführungen. Nach dem Wahlsieg wurde daraus eine unverbindliche Formel mit Verweis auf „europäische Partner“. Hans-Ulrich Rülke (FDP) warf Merz daraufhin öffentlich doppelten Wortbruch vor – beim Haushalt wie bei der Migration.
Solche Täuschungen funktionieren. Der Anschein von Prinzipientreue bleibt gewahrt – ein Lehrstück in machiavellistischer Inszenierung.
Moral als strategisches Instrument
In Machiavellis Denken ist Moral kein Maßstab, sondern ein Mittel zum Zweck. In Deutschland wird Moral oft zur Waffe im politischen Diskurs. Ob bei Klimafragen, Corona oder im Kampf gegen „rechte Tendenzen“ – wer abweicht, wird nicht mit Argumenten konfrontiert, sondern etikettiert: als „Leugner“, „Spinner“, „unsolidarisch“ oder „undemokratisch“. Moralische Entrüstung ersetzt die sachliche Auseinandersetzung. Es geht nicht um Wahrheit, sondern um Kontrolle – genau im Sinne Machiavellis.
Ein Beispiel: Merz beschimpfte Demonstranten gegen Rechtsextremismus als „grüne und linke Spinner“ und unterstellte ihnen Passivität beim Mord an Walter Lübcke – eine nachweislich falsche Behauptung, die Lübckes Witwe öffentlich zurückwies. Der Zweck heiligt die Mittel – Polarisierung wird zur politischen Strategie.
Politik der Angst – Furcht vor Liebe
Machiavelli empfiehlt: „Es ist sicherer, gefürchtet zu werden, als geliebt.“ In der deutschen Politik ist Angst ein zentrales Steuerungsinstrument geworden. Angst vor dem Klimakollaps, vor dem sozialen Abstieg, vor „rechts“. Sie dient als Mobilisierungskraft und ersetzt in vielen Fällen die sachliche Begründung politischer Entscheidungen. Gleichzeitig folgt die Politik Machiavellis Warnung: Wer die Bevölkerung zu sehr gegen sich aufbringt, gefährdet die eigene Herrschaft. Die Balance zwischen Einschüchterung und Popularität wird zur hohen Kunst.
Diese Strategie erklärt die selektive Reaktion auf Proteste. Bauern und Rentner werden beruhigt, AfD-Wähler hingegen als „verirrte Seelen“ abgetan – ihre Kritik delegitimiert, statt debattiert.
Demokratie im Fürstengewand?
Machiavelli mahnt: Der Fürst dürfe sein Volk nicht verachten. Doch genau dieser Fehler scheint sich in der heutigen Politik zu wiederholen. Wer Bürgerängste ignoriert oder ins Lächerliche zieht, verspielt Vertrauen. Wahlprogramme wirken zunehmend wie Beruhigungspillen, Koalitionen folgen keiner nachvollziehbaren Logik mehr, und moralische Überhöhung ersetzt programmatische Substanz.
Fazit: Ein Handbuch für die Gegenwart
Der Fürst ist kein Relikt der Renaissance – es ist ein erstaunlich zeitloses Handbuch der Macht. Deutsche Spitzenpolitiker mögen demokratisch auftreten, doch viele ihrer Strategien folgen den Prinzipien Machiavellis: Macht über Moral, Schein über Sein, Furcht über Liebe. Wer begreifen will, warum Politik heute oft irrational, widersprüchlich oder zynisch erscheint, findet in Machiavellis Werk eine schlüssige Erklärung. Der Florentiner Denker hat es – nüchtern und illusionslos – bereits vor 500 Jahren vorausgesehen.
Die zentralen Maximen, die Machiavelli für einen idealen Herrscher in Der Fürst formuliert, lassen sich wie folgt zusammenfassen:
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Machterhalt als oberstes Ziel: Der Fürst muss seine Macht um jeden Preis sichern und erhalten, auch wenn dies Täuschung, Grausamkeit oder moralisch fragwürdige Mittel erfordert. Erfolg und Machterhalt stehen über moralischen Prinzipien
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Besser gefürchtet als geliebt: Ein Fürst sollte es vorziehen, gefürchtet zu werden, da Furcht eine beständigere Grundlage für Herrschaft ist als Liebe. Allerdings darf er nicht gehasst oder verachtet werden, da dies seine Herrschaft gefährdet. Grausamkeiten sollen nur gezielt und schnell angewandt werden, um unnötiges Leid zu vermeiden
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Schein vor Sein: Der Fürst muss den Anschein von Tugendhaftigkeit und Moral wahren, auch wenn er in Wirklichkeit nicht immer danach handelt. Wortbruch und Täuschung sind legitime Mittel, solange sie verborgen bleiben und den Machterhalt sichern
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Militärische Stärke: Die Fähigkeit, Krieg zu führen und eine schlagkräftige Armee zu unterhalten, ist für die Stabilität und den Fortbestand der Herrschaft unerlässlich. Der Fürst muss die Kriegskunst beherrschen und sich ständig darin üben
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Klugheit und Tatkraft (Virtù): Der Fürst soll sich nicht dem Schicksal (Fortuna) ergeben, sondern durch Klugheit, Entschlossenheit und Anpassungsfähigkeit seine Macht sichern und ausbauen
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Vermeidung von Hass und Verachtung: Der Fürst muss darauf achten, nicht verachtet oder gehasst zu werden, indem er das Eigentum seiner Untertanen respektiert und nur aus nachvollziehbaren Gründen Gewalt anwendet. So sichert er sich Loyalität und Stabilität
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Abhängigkeit vom Volk: Ein Fürst, der seine Macht auf die Unterstützung des Volkes gründet, hat bessere Chancen, sich zu behaupten, als einer, der von wenigen Adligen abhängig ist. Er muss beliebt bleiben und seine Unterstützer in Abhängigkeit zum Staat halten
Diese Maximen zeigen, dass Machiavelli einen realpolitischen, pragmatischen Herrscher idealisiert, der Macht als zentrales Ziel verfolgt und dabei moralische Konventionen flexibel handhabt, um Stabilität und Sicherheit seines Staates zu gewährleisten.