POSTDEMOKRATIE IM WESTEN: AUFSTIEG OLIGARCHISCHER STRUKTUREN UND DER NIEDERGANG LIBERALER DEMOKRATIE

von Redaktion — über |

Die westlichen Demokratien befinden sich in einer tiefgreifenden Krise. Der Begriff „Postdemokratie“, geprägt vom britischen Politikwissenschaftler Colin Crouch, beschreibt den Zustand, in dem demokratische Institutionen zwar formal bestehen, ihre eigentliche Funktion jedoch immer mehr zugunsten wirtschaftlicher und politischer Eliten verlieren. Was einst als Ideal einer partizipativen Demokratie galt, wird zunehmend von oligarchischen Strukturen ersetzt.

10_Postdemokratie_freepik_kl.jpg

Demokratische Aushöhlung und oligarchische Macht

Eines der zentralen Kennzeichen der Krise ist der Einfluss wirtschaftlicher Eliten auf politische Entscheidungen. Ein prominentes Beispiel ist Bill Gates, der nicht nur durch seine Rolle als Mitgründer von Microsoft zu einem der reichsten Menschen der Welt wurde, sondern auch durch seine weitreichenden philanthropischen Projekte und seinen Einfluss in globalen Gesundheitsfragen politische und gesellschaftliche Entwicklungen maßgeblich beeinflusst. Eliten bezeichnen in diesem Zusammenhang eine kleine, privilegierte Gruppe von Personen, die durch wirtschaftlichen Einfluss, politische Macht oder kulturelle Stellung das gesellschaftliche Leben und politische Prozesse maßgeblich beeinflussen. Unternehmen mit Milliardenumsätzen und finanzstarke Lobbygruppen beeinflussen nicht nur Wahlkampagnen, sondern auch die Gesetzgebung. Politiker, die auf teure Wahlkampffinanzierungen angewiesen sind, geraten zwangsläufig in Abhängigkeit von diesen Geldgebern.

Beispielhaft dafür ist das politische System der USA. Dort werden Wahlkampagnen von Super-PACs (Political Action Committees) finanziert, die große Summen von Einzelpersonen und Unternehmen sammeln. Diese Geldgeber erwarten im Gegenzug politische Gefälligkeiten, etwa in Form von Steuergesetzen oder Deregulierungen. Der Supreme-Court-Entscheid „Citizens United v. Federal Election Commission“ von 2010, der unbegrenzte Unternehmensspenden an politische Kampagnen erlaubte, hat diesen Trend massiv verstärkt (Quelle: Supreme Court, 2010).

Medien als Instrumente der Eliten

Ein weiterer Faktor für die Postdemokratie ist die Kontrolle der öffentlichen Meinung durch wenige Medienkonzerne. In vielen westlichen Ländern sind die wichtigsten Medien in der Hand weniger Unternehmen oder wohlhabender Einzelpersonen. Diese Medien gestalten die politische Agenda und beeinflussen, welche Themen in den Vordergrund gerückt werden — und welche nicht, was gedacht und gesagt wird und neuerdings, was gedacht und gesagt werden darf. Beispielhaft ist hier die Medienlandschaft in Deutschland, wo wenige große Konzerne wie Bertelsmann, Axel Springer und die Funke Mediengruppe einen erheblichen Anteil an Print- und Onlinemedien besitzen. Diese Konzentration führt dazu, dass bestimmte politische und wirtschaftliche Narrative verstärkt werden, während alternative Perspektiven kaum Beachtung finden (Quelle: Medienkonzentrationsbericht, 2022). Aber auch in den USA dominieren wenige Medienkonzerne wie Comcast, Disney und News Corp. den Markt (Quelle: Media Ownership Report, 2022).

Die Krise der politischen Repräsentation

Der zunehmende Einfluss von Eliten führt dazu, dass die Interessen breiter Bevölkerungsschichten kaum noch Gehör finden. Stattdessen dominieren Themen, die vor allem den Interessen der oberen Einkommensschichten dienen. Sozialpolitische Reformen werden häufig zugunsten neoliberaler Sparmaßnahmen zurückgedrängt.

In Europa zeigt sich dieser Trend besonders in der Politik der Europäischen Union. Die Austeritätspolitik, die vor allem auf Druck Deutschlands und anderer wirtschaftsstarker Länder durchgesetzt wurde, hat in den krisengeplagten Ländern Südeuropas massive soziale Verwerfungen verursacht (Quelle: Europäischer Rechnungshof, 2017).

Der Weg in eine Postdemokratie

Ein zentraler Mechanismus der Postdemokratie ist die Entfremdung zwischen Bürgern und politischen Institutionen. Sinkende Wahlbeteiligungen und das Erstarken populistischer Bewegungen sind Ausdruck dieses Prozesses. Viele Menschen haben das Gefühl, dass ihre Stimme nichts mehr zählt und politische Entscheidungen ohne ihre Mitwirkung getroffen werden.

Die Corona-Pandemie hat diesen Prozess weiter beschleunigt. Notstandsgesetze und weitreichende Exekutivbefugnisse haben die Macht der Regierungen gestärkt und die parlamentarische Kontrolle geschwächt. Es besteht die große Gefahr, dass es zu einer weiteren Erosion demokratischer Kontrollmechanismen kommt.

Hoffnung auf Erneuerung

Trotz dieser bedenklichen Entwicklungen gibt es auch Zeichen der Hoffnung. Bürgerbewegungen und Graswurzelorganisationen gewinnen in vielen Ländern an Bedeutung. Digitale Plattformen eröffnen neue Möglichkeiten für politische Partizipation und Vernetzung. Besonders bemerkenswert ist das Wachstum alternativer Medien wie AUF1, Reitschuster und Tichys Einblick sowie Printpublikationen wie KLARTEXT Oberbayern, die zunehmend Einfluss auf die Meinungsbildung gewinnen.

Zudem gibt es Bestrebungen, die Transparenz in politischen Prozessen zu erhöhen und den Einfluss von Lobbygruppen einzudämmen. Konkrete Maßnahmen umfassen die Einführung von Lobbyregistern, die Offenlegungspflicht für politische Spenden sowie strengere Regeln zur Vermeidung von Interessenkonflikten. Reformen im Wahlrecht, wie die Förderung direkter Bürgerbeteiligung, könnten ebenfalls zur Stärkung einer partizipativen Demokratie beitragen. Darüber hinaus sollten Maßnahmen zur Begrenzung von Wahlkampffinanzierungen, wie Obergrenzen für Spenden und eine stärkere staatliche Parteienfinanzierung, diskutiert werden, um Chancengleichheit im politischen Wettbewerb zu gewährleisten.

Fazit

Die westlichen Demokratien stehen an einem Scheideweg. Die Gefahr, dass oligarchische Strukturen die Demokratie weiter aushöhlen, ist real. Doch die Zukunft ist nicht festgeschrieben. Durch bürgerschaftliches Engagement und politische Reformen besteht die Chance, die demokratischen Werte zu erneuern und die Macht der Eliten zu begrenzen. Die Verteidigung der Demokratie ist heute dringlicher denn je.

Gastautor: Ulrich Schild von Spannenberg