Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf das Klima an den politischen Rändern und die Rolle der Medien
Unter diesem Titel hatte das Länderbüro Hessen/Rheinland-Pfalz über die „Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit“ am Dienstag, den 15. November 2022, in den Erbacher Hof (Mainz) eingeladen. 34 Zuschauer füllten den Saal etwas mehr als zur Hälfte. Moderator war der Journalist Christoph Heinemann (Deutschlandfunk), der freie Journalist Volker Siefert (primär Hessischen Rundfunk) hielt einen Impulsvortrag, dem ein Podiumsdialog unter Beteiligung des Kommunikationswissenschaftlers Prof. Marcus Maurer und eine Runde mit Zuschauerfragen folgte.
Herr Siefert präsentierte sich als Experte zum Thema Extremismus. Bereits seine „kurze Reise durch die Geschichte der Querdenker-Bewegung“ von der Gründung (Mai 2020) bis zum „Ende der Pandemie“ (März 2022) zeugte entweder von großen Wissenslücken oder verriet manipulative Absichten, allein schon wegen der nicht-repräsentativen Auswahl der Vortragsschwerpunkte. Bereits im Titel offenbart sich der Wunsch, die Querdenken-Bewegung als „Rand der Gesellschaft“ abzustempeln, statt diese als „aus der Mitte der Gesellschaft“ anzuerkennen. Auch fehlte jeglicher Hinweis auf alles, was die Bewegung positiv hätte aussehen lassen können, z.B. Vereinigungen wie die Anwälte für Aufklärung, Ärzte für Aufklärung, der Corona-Ausschuss, die Pathologie-Konferenz, Krista (Kritische Richter und Staatsanwälte) oder ein Blick auf das Querdenken-Manifest.
In der Querdenker-Szene sieht Herr Siefert seit Kriegsbeginn drei Gruppen: Die der „Beleidigten“, welche ihr Thema Corona „davon schwimmen“ sehen, die der „Anhänger der „universellen Weltverschwörung“ und die Gruppe „bekennender Putin-Fans“.
Als beispielhaften Vertreter der ersten Gruppe nannte Herr Siefert einen Rechtsanwalt, dem er missgünstig gegenübersteht und über den er schon seit längerer Zeit diffamierend berichtet.
Der zweiten Gruppe ordnete er die Anhänger der „QAnon-Bewegung“ zu. Screenshots eines Telegram-Kanals mit 130.000 Mitgliedern, in denen einige wenige vorkommende Beiträge gezeigt wurden, sollen als Beleg ausreichen. Klar ist: Eine nicht quantifizierbare Zahl an Kanalmitgliedern, von denen Herr Siefert selbst einer ist, folgt diesem vermutlich nur aus Beobachtungszwecken.
Es erging der Vorwurf, Querdenker würden auf einen Führer warten, der die „Erlösung“ bringe. Als Anhänger von Erlösungssprüchen wie „Sie [die Epidemie] wird nicht verschwinden, bevor wir nicht wirklich einen Impfstoff haben“ (Dr. Angela Merkel bei einer Pressekonferenz im Kanzleramt am 9.4.2020) und „Diese Regeln [...] dürfen überhaupt nie hinterfragt werden“ (Prof. Dr. Lothar H. Wieler auf der Bundespressekonferenz am 27.7.2020), offenbart sich aber eher auf der „anderen Seite“ eine verdrehte Wahrnehmung.
Auch die Aussage, mit Ausnahme von Eva Herrmann würde die Querdenker-Bewegung nur Männern folgen, ist falsch, denn es war die Rechtsanwältin Beate Bahner, deren Aufruf im April 2020 viele Menschen in Deutschland gefolgt sind, erstmals und zum Teil bis zum heutigen Tag zu demonstrieren. Ihr folgten weitere Frauen, deren Beiträge in den sozialen Medien von vielen aufmerksam verfolgt werden.
Zur dritten Gruppe stellte Herr Siefert fest: Einen Schulterschluss zwischen der Querdenker-Bewegung und einer pro-russischen Bewegung gibt es nicht. In diesem Zusammenhang äußert der Journalist jedoch einen Satz, der beim unkritischen Zuhörer möglicherweise ein Nachwirken hat: Jeder, der in Deutschland einen Friedensvertrag fordert, ist ein Reichsbürger!
Nach dem offiziellen Teil hierzu befragt, stellte er die Gegenfrage, ob ich, die Fragende, an die Bundesrepublik Deutschland als Staat glaube. Auf den fehlenden sachlichen Zusammenhang hingewiesen, antwortete Herr Siefert schließlich: „Ich bin 1966 geboren und habe die ganze Zeit sehr gut mit einem Waffenstillstand gelebt.“ Interessant wäre zu erfahren, ob er die Wiedervereinigung 1989 auch als Reichsbürger-Aktion wertet bzw. sie als solche gewertet hat.
Nicht erklären kann sich Herr Siefert den hohen Anteil an „Spätradikalisierten“. Abgesehen von der negativen Konnotation des Wortes zeigte sich: Nach mehr als zweieinhalb Jahren hatte der Journalist immer noch keinem einzigen Vertreter dieser Gruppierung wirklich zugehört, um so aus erster Hand dessen Motivation herauszufinden.
Den Vortrag abschließend informierte Volker Siefert über „Ermittlungen gegen Querdenker, Reichsbürger, etc.“, die von Michael Ballweg über Dr. Bodo Schiffmann, Atila Hiltmann und Oliver Janich bis hin zu einer „Reichsbürger Gruppe um Terror-Oma Elisabeth R.“ und „radikale Impfgegner aus Dresden“ reichten. Auch hier kann die Neutralität der Berichterstattung aufgrund von Auswahl und Ausdrucksform in Zweifel gezogen werden.
Der Podiumsdialog wurde von Herrn Heinemann geleitet, der Fokus lag auf dem Einfluss der Medien und dem Ukraine-Krieg. Prof. Maurer gab an, nicht an eine Gleichschaltung der Medien zu glauben, ebenso wenig habe er den Eindruck, russische Propaganda sei schuld daran, dass bei einer Befragung in Ostdeutschland 40% von 2.200 Befragten angab, der Angriff auf die Ukraine sei eine alternativlose Reaktion Russlands auf die NATO-Politik.
Sog. „Echokammern“ kämen dadurch zustande, dass Menschen sich nur dort informierten, wo sie das zu hören bekämen, was sie hören möchten, und sich auch in entsprechenden Kreisen bewegten, so dass sie diese Informationen als Wahrheit verstünden. Dies trifft selbstverständlich vor allem auch auf den Teil der Bevölkerung zu, der sich ausschließlich über die öffentlich-rechtlichen Medien informiert, wenngleich Prof. Maurer dies nicht erwähnte.
Das verbindende Element zwischen Querdenkern und Putin-Fans sieht Herr Siefert im Glauben an eine geplante Pandemie. Die Verbindung zwischen Sarah Wagenknecht und der AfD läge in einem gemeinsamen Feindbild und einem Antiamerikanismus. Vergessen sei, was Amerika für Deutschland nach dem Krieg getan habe. Es werde eine Energiepartnerschaft mit Russland gesehen, vollkommen losgelöst von den Verbrechen in der Ukraine und dem imperialen Gedanken Russlands. Putin werde, als Retter, als autoritärer Charakter und als Führungsperson gesehen, nach der sich viele sehnten, die der pluralistischen Meinungsbildung überdrüssig seien. Herr Siefert stellte mit keinem Wort die imperiale Vorherrschaft der USA in Frage und sah sich sogar in der Verpflichtung, diese zu unterstützen. Worte wie „Fuck the EU“ der ehemaligen für Europa zuständige Staatssekretärin im US-Außenministerium, Victoria Nuland (Grow, Ansgar, „Fuck the EU“ bringt US-Diplomatin in Erklärungsnot, Die Welt, 7.2.2014), blieben unerwähnt.
Leider fehlte bei dem Dialog nicht nur ein Vertreter der Gegenseite, z.B. aus der Friedensbewegung und Herr Heinemann hinterfragte an keiner Stelle kritisch. Er machte stattdessen verschiedene Aussagen, die bei einem unkritischen Zuhörer zur einseitigen Meinungsbildung beitragen könnten, z.B. brachte er den Begriff „Rechtsextremen-RAF“ ein und behauptete, viele würden sich von der Demokratie abwenden. Dies ist bei der Querdenken-Bewegung nicht der Fall, vielmehr wird die Demokratie konsequent eingefordert, wo sie von Politik, Medien und Gerichten spätestens seit März 2020 mit Füßen getreten wird. Der Lokaljournalismus, so Prof. Maurer, könne zur Heilung beitragen [Anm. d. Red.: Danke, lieber Herr Professor, KLARTEXT - Bürgerzeitung für das Rhein-Main-Gebiet tut für diese Heilung, was sie kann 😉].
In der abschließenden Publikumsrunde stellte sich heraus, dass ein Großteil der Anwesenden zur Gruppe derer gehörte, über die an diesem Abend gesprochen worden war. So gaben sich einige als „Spätradikalisierte“ zu erkennen, die ihre Motivation für ihr spät erwachtes politisches Engagement darlegen konnten:
Eine Dame erklärte, sie habe das dringende Bedürfnis, für ihre Kinder und Enkelkinder eine bessere Welt zu hinterlassen. Jetzt habe sie die Zeit dazu. Die Motivation einer anderen Dame, anfangs auf die Straße zu gehen, sei gewesen, „Gesicht gegen Rechts zu zeigen“. Dort habe sie ein ganz anderes Publikum angetroffen, als im Fernsehen berichtet.
Befragt zum Thema Vernetzung bzw. Verstrickung von Medienanstalten basierend auf einer ZDF-Sendung von „Die Anstalt“, konnte Prof. Mauer nicht antworten.
Persönliches Fazit: Es hat sich gelohnt, die Veranstaltung zu besuchen. Herr Siefert konnte als der Experte entlarvt werden, der er ist, nämlich nicht in Sachen „Querdenken“, sondern eher in Sachen „manipulative Berichterstattung“. Ich kann nur dazu ermuntern, rege an politischen Veranstaltungen teilzunehmen, um öffentlich Position zu ergreifen und der diffamierenden Berichterstattung insb. durch Vertreter öffentlich-rechtlicher Medien friedlich, selbstbewusst und stets demokratisch entgegenzutreten und ihnen einen Spiegel vorzuhalten. In Mainz bedeutet dies auch, die Angebote zum Kennenlernen der Kandidaten zur Wahl des Oberbürgermeisters/der Oberbürgermeisterin zu nutzen und die dringend benötigten kritischen Fragen zu stellen. Demokratie lebt vom Mitmachen!
Gastautorin M. García, Mainz