Bertholt Brecht, 1952
Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete
Leiden ist erstaunlich kurz, ihre Vorstellungsgabe
für kommende Leiden ist fast
noch geringer. Die Beschreibung, die der
New Yorker von den Gräueln der Atombombe
erhielt, schreckten ihn anscheinend nur
wenig. Der Hambuger ist noch umringt von
den Ruinen, und doch zögert er, die Hand
gegen einen neuen Krieg zu erheben. Die
weltweiten Schrecken der vierziger Jahre
scheinen vergessen. Der Regen von gestern
macht uns nicht nass sagen viele.
Diese Abgestumpftheit ist es, die wir zu bekämpfen
haben, ihr äußerster Grad ist der
Tod. Allzu viele kommen uns schon heute
vor wie Tote, wie Leute, die schon hinter
sich haben, was sie vor sich haben, so wenig
tun sie dagegen.
Und doch wird nichts mich davon überzeugen,
dass es aussichtslos ist, der Vernunft
gegen ihre Feinde beizustehen. Lasst uns
das tausendmal Gesagte immer wieder sagen,
damit es nicht einmal zu wenig gesagt
wurde!
Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind, und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden.
Bert Brecht, Rede für den Frieden, 1952