Die Enthüllungen von Seymour Hersh

von Redaktion — über |

💥 Die Sprengung der Nord Stream Pipeline und die Reaktionen der Leitmedien 💥

Der Anschlag auf Deutschlands wichtigste Energieader am 26.09.2022 muss nach Expertenmeinung von staatlichen Akteuren ausgeführt worden sein und ist demnach als Akt internationalen Terrorismus zu werten. Nachdem es in den letzten Monaten seltsam ruhig um die Angelegenheit geworden ist, bringt Seymour Hersh mit seinen Enthüllungen neuen Schwung in die Aufarbeitung.

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Bedeutung und Vorgeschichte zur Nord Stream Pipeline
Nord Stream 1 sorgte seit der Eröffnung 2011 zuverlässig für die Gasversorgung Deutschlands mit günstigem russischem Gas. Zum Ende des Jahres 2021 wurde auch der Bau der Nord Stream 2 Pipelines abgeschlossen und diese mit Gas befüllt. Alle 4 Röhren der Pipelines hätten den Energiebedarf Deutschlands zu 100% abdecken und als Überbrückung bis zum Zeitalter der erneuerbaren Energien dienen können.

Dies lag allerdings nicht im Interesse anderer Länder. Die USA hatten ihre parteiübergreifende Ablehnung zu Nord Stream 2 mit Sanktionen klar gemacht. Auch die Ukraine und Polen haben ihren Widerstand bekundet, da diese um ihre Einnahmen aus dem Transit von Gas auf dem Landweg fürchteten.

Der Hersh-Report
Nach dem Anschlag auf Deutschlands kritische Infrastruktur hätte man annehmen müssen, dass der Bundeskanzler eine Ansprache an die Nation hält, dass die politische Führung eines souveränen Staates nach Artikel 5 den NATO-Bündnisfall erklärt und die Ermittlungen an sich zieht. Doch nichts dergleichen passierte. Auf die Anfrage der Opposition vom 04.11.2022 an die Bundesregierung zu deren Erkenntnissen antwortete die Regierung, dass die „Beantwortung aus Gründen des Staatswohls nicht erfolgen kann“ und dass eine „Third-Party-Rule“ mit Blick auf den Informationsaustausch mit Geheimdiensten von Partnerstaaten dies verbietet. Die Bundesregierung hielt sich daher bedeckt und machte den Anschein, dieses Verbrechen unter den Teppich kehren zu wollen, bis Seymour Hersh seine Enthüllungen veröffentlichte und dadurch die Diskussion wieder Bewegung aufnahm.

In seinem Artikel vom 08.02.2023, berichtet Hersh, ein Pulitzer-Preisträger und einer der renommiertesten Investigativjournalisten, weltweit bekannt u.a. durch die Aufdeckungen des Massakers von My Lai (Vietnamkrieg) und den Misshandlungen von Gefangenen in Abu Ghraib (Irakkrieg), wie die USA mit Hilfe von Norwegen den Angriff auf die Nord Stream Pipelines geplant und ausgeführt haben. Dabei bezieht er sich auf einen Informanten, der direkten Bezug zu dieser Geheimoperation habe.

Der Angriff sei von speziell ausgebildeten Tiefseetauchern ausgeführt worden, die während des Ostsee-Manövers BALTOPS 22 im Juni 2022 die Sprengladungen platziert hätten. Um den Verdacht von sich abzulenken, seien diese Sprengladungen mit Zeitzündern versehen worden, die dann nach 3 Monaten mittels Sonarsignalen ausgelöst wurden. Hersh führt detailreich die Planung und Durchführung der Aktion aus und beruft sich dabei auch auf mehrere Zitate von führenden US-Repräsentanten, womit die Motive verdeutlicht werden:

Beispielsweise auf das Zitat des US-Präsidenten Joe Biden bei der Pressekonferenz zusammen mit Olaf Scholz am 07.02.2022: „Wenn Russland in die Ukraine einmarschiert, wird es kein Nord Stream 2 mehr geben. Wir werden es beenden“. Auf Nachfrage einer Journalistin, wie er dies denn machen wolle, da dies ja unter deutscher Kontrolle liege, führte er weiter aus: „Ich verspreche Ihnen, wir werden dazu in der Lage sein“.

Als aufschlussreiche Begründung und Motiv für die Tat zieht Hersh die Aussage von US-Außenminister Antony Blinken auf einer Pressekonferenz kurz nach den Anschlägen am 30.09.2022 heran: "Es ist eine enorme Chance, die Abhängigkeit von russischer Energie ein für alle Mal zu beenden … Das ist sehr bedeutsam und bietet eine enorme strategische Chance für die kommenden Jahre".

Jetzt liegt Nord Stream wie „ein Haufen Metall auf dem Meeresgrund“, so erfreute sich Victoria Nuland, US-Staatssekretärin für politische Angelegenheiten am 26.01.2023.

Reaktion auf den Hersh-Bericht
Seymour Hershs Artikel fand in den westlichen Leitmedien zunächst kaum Beachtung und wurde, wenn überhaupt erwähnt, mangels Beweisen oder wegen seiner nicht namentlich genannten Quellen heftig kritisiert.

Viele frühere Weggefährten von Hersh loben daraufhin demonstrativ seine Arbeit. Auf dem Treffen des UN-Sicherheitsrats am 21.02.2023 äußern beispielsweise Professor Jeffrey D. Sachs und der ehemalige CIA-Angehörige Ray McGovern ihr tiefes Vertrauen in ihn und nennen hingegen mehrere folgenschwere Falschinformationen durch US-Geheimdienste. Passend dazu forderte der chinesische UNO-Botschafter Zhang Jun dann auch gleich eine unabhängige Untersuchung zu den Anschlägen auf Nord Stream durch die UNO.

Zwischenzeitlich kursiert bei YouTube ein Video des Journalisten John Mark Dougan, der von einer weiteren Quelle bereits am 04.10.2022 eine Mail mit Fotos und Dokumenten erhalten habe, welche die Berichte von Hersh über den speziellen Taucheinsatz beim BALTOPS-Manöver am 15.06.2022 bestätigen und ergänzen würden.

Nachdem die USA die Anschuldigungen des Hersh-Berichts zurückgewiesen hatten – was sollten sie auch anderes tun? – haben kritische Oppositionsparteien im Bundestag und im EU-Parlament Aufklärung verlangt. Da der Generalbundesanwalt selbst nach 5 Monaten Ermittlungen immer noch keine Erkenntnisse offengelegt hatte, machte sich die stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung Hoffmann in der Bundespressekonferenz am 10.02.2023 mit ihren Antworten auf die kritischen Fragen von Journalisten wahrlich lächerlich.

Der entstehende internationale Druck führte am 08.03.2023 dazu, dass der Öffentlichkeit erste vermeintliche Ermittlungsergebnisse präsentiert wurden, welche jedoch noch mehr Zweifel aufwarfen:

Wenige Tage nach dem überraschenden Treffen zwischen Biden und Scholz melden die New York Times und kurze Zeit später viele weitere westliche Medien, unter Berufung auf nicht weiter spezifizierte amerikanische Geheimdienstkreise sowie angebliche eigene Recherchen, dass plötzlich doch Verdächtige ausfindig gemacht wurden: Jetzt soll es eine „pro-ukrainische Gruppe“ gewesen sein – was die USA als Kriegsunterstützer der Ukraine ja nicht explizit ausschließt. Der Geheimdienstexperte Shlomo Shpiro zerreißt im Welt-Interview am 08.03.2023 richtigerweise auch diese angeblichen Erkenntnisse. Hersh kann sich das Lachen um diese abenteuerliche Räuberpistole kaum verkneifen und wir dürfen uns mit Popcorn auf die Couch zurücklehnen und auf weitere Märchengeschichten in dieser Angelegenheit gefasst machen.

Motive und Folgen der Sprengung
An dieser Stelle kommen mir die Worte von George Friedman (Gründer des privaten Nachrichtendienstes und US-Thinktank Stratfor) auf dem Chicago Council on global Affairs am 04.02.2015 in den Sinn: „Das Hauptinteresse der Vereinigten Staaten … gilt den Beziehungen zwischen Deutschland und Russland. Denn vereint sind sie die einzige Kraft, die uns bedrohen könnten, und wir müssen sicherstellen, dass dies nicht geschieht.

In Folge der Sprengung haben sich die Energiepreise in Deutschland vervielfacht, die Inflation ist massiv gestiegen und für einige Industriezweige ist die Produktion in Deutschland mittlerweile nicht mehr wettbewerbsfähig, so dass sie ins Ausland abwandert – was langfristig zu größten volkswirtschaftlichen Schäden in Deutschland führen dürfte.

Profiteur ist die USA, auf dessen Energieversorgung mit teurem und umweltschädlichem Fracking-Gas via LNG-Tanker Europa seitdem viel stärker angewiesen ist, sowie Norwegen, das sein Gas durch die am 27.09.2022 (einen Tag nach der Nord Stream Sprengung!) eröffnete Baltic Pipeline nach Polen fördern kann. Am gleichen Tag bedankte sich übrigens der frühere polnische Außenminister und heutige EU-Parlamentsabgeordnete Radek Sikorski mit einem Foto der Gasfelder und dem Kommentar „Thank you, USA“ auf Twitter:

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Ein Polizist würde bei seinen Ermittlungen vermutlich prüfen, wer für die Tat ein Motiv, die Gelegenheit und die Mittel dazu hatte. Außerdem würde er wohl die Aussagen der Verdächtigen vor- und nach dem Anschlag bewerten – so wie es eben Seymour Hersh in seinem Bericht tut. Ein unabhängiger Richter würde sich vermutlich auch die Frage „Qui bono“ stellen: „Wem nützt es“?

Gastautor: Marco von Franken

Anmerkung der Redaktion zur "Posse des ARD-Tagesschau-Faktenfinders"

Eine Posse des ARD-Faktenfinders vom 23.02.2023 soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben: Pascal Siggelkow ist ein angestellter Redakteur der Tagesschau in der Redaktion ARD-Faktenfinder, der laut seinem XING-Profil fließend Englisch spricht. Nachdem er vermutlich den Hersh-Bericht mittels Google-Translator übersetzt hatte, fiel ihm nicht auf, dass seine eigene Übersetzung des englischen Originalsatzes „That would be well within the range of the divers, who … plant shaped C4 charges on the four pipelines with concrete protective covers.“ keinen Sinn ergab. Mit dieser Falschübersetzung belästigte er den Experten David Domjahn (KIT Karlsruhe), welcher ihm bescheinigt, dass die These des Anbringens von „Sprengstoff in Pflanzenform“ abenteuerlich sei. Anstatt jedoch seine eigene Arbeit oder seine Englischkenntnisse zu hinterfragen, nahm er dies als Beleg für „Unstimmigkeiten im Hersh-Bericht“. Diese falsche Darstellung wiederum geht offensichtlich ungeprüft als vermeintlich validierter Sachverhalt in den Tagesschau-Faktenfinder – und damit ins manipulierte Bewusstsein der Öffentlichkeit ein.

Wie erquickend wäre es doch, wenn diese hochbezahlten Hofberichterstatter vom öffentlich-rechtlichen Staatsfunk ihrer eigentlichen Aufgabe als 4. Macht im Land nachkommen würden bzw. in Anbetracht ihrer Qualifikation („Triumph der Gesinnung über die Urteilskraft“) zumindest versuchen würden, dieser nachzukommen. Anstatt Investigativjournalisten, Alternativmedien und die Opposition anzugreifen, zu diskreditieren und verächtlich zu machen, sollten sie ihrer Aufgabe gerecht werden und v. a. auch die Aussagen, Maßnahmen und Taten der Regierung kritisch hinterfragen und beleuchten.

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Quellen / Links:

Original des Hersh-Reports

Bericht in deutscher Übersetzung

Arikel in der "Jungen Welt"

Pressekonferenz Biden und Scholz vom 07.02.2022:
- bei YouTube von 11:50 – 12:40 Min
- Und bei der überaus "kompetenten" Bundesregierung

Antony Blinken hold joint news conference in Washington, D.C. – September 30, 2022 von 23:00 – 24:00 Min

Victoria Nuland am 26. Januar 2023 von 1:42:00 – 1:44:00 Min

AfD-Anfrage zu den Erkenntnissen der Bundesregierung am 04.11.2022 mit Antwort:
- beim deutschen Bundestag
- und beim BMWK

Bundespressekonferenz vom 10.02.2023:
- bei YouTube von 42:00 – 52:00 Min.
- und bei der überaus "kompetenten" Bundesregierung

George Friedman auf dem Chicago Council am 04.02.2015 von 53:45 – 54:10 Min.

John Mark Dougan

Pro-Ukrainische Gruppe verdächtigt

Shlomo Shpiro Interview

Allgemeine Infos zu Nord Stream

ARD-Faktenfinder zum Sprengstoff in Pflanzenform

Radek Sikorski:
- beim Exxpress
- und im Webarchiv

Taucher-Karikatur