Gemeinwohlökonomie als Lösungsansatz zur Sicherung unserer Zukunft

von Redaktion — über |

Unser jetziges Wirtschaftssystem steht auf dem Kopf. Das Geld ist zum Selbstzweck geworden, statt ein Mittel zu sein für das, was wirklich zählt: Ein gutes Leben für alle.“ Christian Felber

Die Vielfalt der aktuellen Krisen hat eine ihrer Grundursachen im vorherrschenden Wirtschaftssystem, in dem es primär um das Erzielen von Finanzgewinn in Konkurrenz zu anderen Unternehmen geht. Globale Konzerne konzentrieren immer mehr Macht und entscheiden über die Interessen von Bürgerinnen und Bürgern hinweg. Einige der Folgen sind Armut, Hunger, soziale Ungleichheit, Klima- und Umweltzerstörung, unfreiwillige Migration und Demokratieabbau.

Eine mögliche Lösung für dieses Dilemma zeigte vor einiger Zeit Christian Felber, Gründer der Gemeinwohlökonomie, rund 150 Zuschauerinnen und Zuschauern im Kolpinghaus in Bensheim, auf Einladung von verschiedenen Initiativen und Verbänden.

Das gewinnorientierte Verhalten der Wirtschaft, so Felber, stehe in auffälligem Kontrast zu unseren demokratischen Verfassungswerten: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl.“, besagt die Bayerische Verfassung. Das deutsche Grundgesetz sieht vor, dass „Eigentum verpflichtet“ und „sein Gebrauch zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen“ soll (Art. 14). Die seit 2010 aktive Initiative der Gemeinwohl-Ökonomie möchte den oben genannten Widerspruch zwischen Wirtschaft und Gemeinwohl auflösen. Die Verfassungswerte Menschenwürde, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Solidarität und Demokratie sollen konsequent als Ziele in den Rechtsrahmen der Wirtschaft eingebaut werden. Um den wirtschaftlichen Erfolg an diesen Zielen zu messen, schlägt die GWÖ die demokratische Entwicklung eines Gemeinwohl-Produkts zur Ablösung des Bruttoinlandsprodukts vor.

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Auf Unternehmensebene sollten Firmen ebenso wie öffentliche Körperschaften neben der Finanzbilanz eine Gemeinwohlbilanz erstellen, in der bewertet wird, wie die Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, sowie Transparenz und demokratische Mitbestimmung im Unternehmen beachtet wird.

Diese Gemeinwohlbilanz sollte dann auch über die Höhe von Steuern, Zöllen, Zinsen oder Vorrang bei der Auftragsvergabe und in der Wirtschaftsförderung entscheiden, damit die ethischen und nachhaltigen Produkte auf den Märkten preisgünstiger werden. So würde eine Wirtschaft entstehen, die das Gemeinwohl, die Demokratie und ein Leben im Einklang mit der Natur fördert und die „Marktgesetze“ mit den Werten der Gesellschaft in Einklang bringt.

Bereits rund 850 Unternehmen und Körperschaften arbeiten aktuell mit der Gemeinwohlbilanz. Zu den Pionieren gehören die Bäckerei Kaiser in Mainz-Kastell, die Alnatura-Filialen in der Rhein-Main-Region beliefert, und die Firma Vaude (Outdoor-Produkte) aus Tettnang. Dabei sind auch Institutionen wie Schulen und Hochschulen, Banken, Versicherungen sowie erste Gemeinden und Städte.

Als Beispiel, wie demokratische Prozesse anstatt mit der bisher praktizierten Mehrheitsentscheidung ablaufen könnten, fand im zweiten Teil des Abends eine Meinungserhebung aller Zuschauer nach dem „systemischen Konsensieren“ statt.

Auf die Frage, welches Vielfache des minimalen Grundeinkommens die Besucher als Maximaleinkommen gerecht fänden, wurden zunächst Vorschläge gesammelt, die zwischen dem Faktor 1 und 1.000 lagen. Abgestimmt wurden dann zu jedem Vorschlag mit den Optionen kein Widerstand, mittlerer Widerstand und starker Widerstand – per Handzeichen. Das Ergebnis lag in Bensheim wie auch in allen anderen mehreren hundert Befragungen der letzten Jahre von Christian Felber weltweit zwischen dem Faktor 8 und 15. Betrachtet man die momentan existierenden Vielfachen der Spitzengehälter in den diversen Ländern in der Industrie, liegen diese in der Schweiz bei 900, in Deutschland bei 6.000, der USA bei 65.000, und in der Finanzindustrie der USA bei 360.000.

Die Begrenzung dieser immensen Ungleichheit im Einkommen und auch im Besitz kann nur demokratisch erreicht werden. Die Entscheidungsgewalt in unseren Ländern muss dazu aus der Hand der Wenigen in die Hände der Vielen zurückgegeben werden, so wie es in unseren Verfassungen vorgesehen ist. Ein Schritt in die richtige Richtung seien Bürgerräte, die jedoch nur dann ein demokratisches Instrument sein können, wenn die Mitglieder multiperspektivisch und frei von bestimmten Interessen informiert und vorher verbindliche Regeln für den Umgang mit den Ergebnissen festgelegt werden und im besten Fall über das Ergebnis eine Volksabstimmung erfolgt.

Wir sollten mehr Demokratie wagen, um unsere Zukunft und ein gutes Leben für alle Menschen zu sichern!

Gastautorin: Katja Knoch