„Verschwörungstheorie und paranoider Wahn“

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BERICHT

Zu einer Publikationsverleihung zum Thema Verschwörungstheorien hatte die Frankfurter Stiftung Forschung und Bildung in Frankfurt am Main eingeladen. Die Preisverleihung fand an der Hochschule für angewandte Wissenschaften am Nibelungenplatz 1 am 27. Juli statt. Woran man Verschwörungstheoretiker erkennt und welche Wahnvorstellungen diese vertreten, dies stand im Mittelpunkt der Publikationsvorstellung der Autorin. Die Sozialwissenschaftlerin Prof. Stephanie Mehl berichtete über Erfahrungswerte aus ihrer täglichen Arbeit mit Patienten, welche nach Mehls Interpretation unter derartigen Wahnvorstellungen leiden. Laut Autorin sprechen sogenannte Verschwörungstheoretiker über die Ausweitung der staatlichen Kontrollen auf die Zivilgesellschaften, verbunden mit negativen Auswirkungen für jeden einzelnen Bürger. Verschwörungstheoretiker seien z.B. der Meinung, dass der Impfstoff gegen Covid-19 bereits seit längerem entwickelt wurde. Die Theorie der „Chipimplantate“ hingegen seien eher den klassischen Verschwörungstheorien zuzuordnen. Des Weiteren sprach sie an, dass die Partei „Alternative für Deutschland“, von Verschwörungstheoretikern gegründet worden sei. Auf die genauen Gefahren, welche von Verschwörungstheoretikern ausgehen sollen, wurde nicht näher eingegangen. Mehls sprach sich für eine gezielte staatliche Observierung von Verschwörungstheoretikern, ohne evidenzbasierende Daten zu benennen. Über die staatliche Kontrolle hinaus forderte die Professorin sogar Sanktionen für die Verbreitung von Informationen „Andersdenkender“. Es solle etwas kosten, solche zu verbreiten, so wie ein Substanzenkonsum etwas kostet. Sie verglich diesen mit dem Konsumieren/Verbreiten von Verschwörungstheorien bzw. setzte beide gleich. Inwieweit diese Befürwortung mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar ist, fragt sich (vermutlich nicht nur) die Verfasserin dieses Artikels.

Gastautorin: Gräfin D., Frankfurt/Main

Kommentar

von M. Garcia, 7. August 2023 anlässlich der Preisverleihung der Frankfurt University of Applied Sciences an Prof. Dr. Stephanie Mehl für ihre Studie Verschwörungstheorien und paranoider Wahn: „Lassen sich Aspekte kognitionspsychologischer Modelle zu Entstehung und Aufrechterhaltung von paranoiden Wahnüberzeugungen auf Verschwörungstheorien übertragen?“

Zu meiner großen Freude wurde die Studie wissenschaftlich, d. h. ergebnisoffen angegangen, wenngleich ihr auch zu entnehmen ist, dass Prof. Mehl es an Wissenschaftlichkeit hat fehlen lassen bei der Betrachtung und Beurteilung der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“.

Da der Begriff Verschwörungstheorie seit Beginn der Corona-Zeit in vielen Medien praktisch für alle Maßnahmen- und/oder Regierungskritiker zum Einsatz kommt, stellt sich mir die Frage, ob im Rahmen der Studie unterschieden wurde zwischen Anhängern von Verschwörungstheorien, Menschen, die aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen in der Vergangenheit, der von Ihnen konsumierten Fachliteratur und/oder den von Ihnen konsultierten Experten keinen Sinn in den Maßnahmen sahen und/oder solchen, die zu starke rechtliche Bedenken dagegen hatten aufgrund der Verstöße gegen die Grund- und Menschenrechte, die sie darin gesehen haben? Leider wurde dies – wie so manch anderes – auch bei der Preisverleihung nicht thematisiert. Sollte Prof. Mehl mir diese noch beantworten, werde ich berichten.

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, Verschwörungstheoretiker und Menschen, die unter paranoidem Wahn leiden, hätten zwar z.T. ähnliche Eigenschaften und Gemeinsamkeiten in der Vorgeschichte, Verschwörungstheoretiker seien jedoch nicht behandlungsbedürftig. Dennoch werden sie in der Studie von „Gesunden“ abgegrenzt. Und obwohl Prof. Mehl Anhänger der „verschwörungsgläubigen Subkultur“ als sozial gut vernetzt, wertschätzend („soziale Aufwertung und Anerkennung“) und offen gegenüber Andersdenkenden („ausgeprägte Toleranz gegenüber sich widersprechenden Theorien“) beschreibt, bereitet ihr geringes Vertrauen in die Regierung offenbar so viel Angst, dass sie fordert, Verschwörungstheoretiker zu sanktionieren. Ganz verwirrend fand ich den von Prof. Mehl in ihrer Dankesrede angeführten Vergleich von Verschwörungstheoretikern und „Substanzenkonsumenten“: Ihnen sollten die Kosten für die Verbreitung von Verschwörungstheorien auferlegt werden, so wie Substanzenkonsum bestraft werde. Hierfür sei eine größere Kontrolle erforderlich, wodurch eine der Grundängste von Verschwörungstheoretikern, die Prof. Mehl in ihrer Studie anführt, nämlich sich kontrolliert zu fühlen, verwirklicht würde.

Prof. Mehls Forderungen sind das, was mir wiederum Angst macht, denn wer bestimmt, was eine Verschwörungstheorie ist? Und was ist, wenn diese sich dann doch wieder erfüllt? Wo ist die Grenze zwischen der eigenen Meinung und einer Verschwörungstheorie und wer legt sie fest?

Hier fordert eine Hochschul-Professorin die Abschaffung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung! Gibt sie so etwas evtl. auch vor Studenten zum Besten? Wo ist da die politische Neutralität, wie sie der Beutelsbacher Konsens fordert? Untergräbt Prof. Mehl damit nicht die freiheitlich-demokratische Grundordnung? Handelt es sich nicht sogar um eine verfassungsschutzrelevante Deligitimierung des Staates? Der Abbau der Demokratie, die als Herrschaftsform gem. Bundeszentrale für politische Bildung wesentliches Element des Staates sind, wird von Prof. Mehl gefordert. Ob ihr das bewusst ist? Auch wenn nicht: Wir müssen uns mit allen uns rechtlich zustehenden Mitteln, ganz im Sinne des Art. 20 IV GG zur Wehr setzen und auch aktiv, nicht nur reaktiv handeln.

Der britische Sänger Sting sagte im Juli 2022: „Here is what I want to say: Democracy is under attack. It's under attack in every country in the world. It is in grave danger of being lost unless we defend it. A democracy is messy. Democracy is frustrating. Democracy is often inefficient, it means constant attention, constant adjustment, but it is still worth fighting for. Because the alternative to democracy is a nightmare, The alternative to democracy is a prison, a prison of the mind. The alternative to democracy is violence, oppression, imprisonment and silence. That alternative is called tyranny. All tyranny is based on a lie.