WENN SELBSTVERTEIDIGUNG ÜBER SELBSTGERECHTIGKEIT ZUM SELBSTZWECK WIRD

von Redaktion — über |

Kritische Gedanken zum ewigen Konflikt

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Wann und wie entstand Palästina, wann und wie Israel? Sind es Staaten im völkerrechtlichen Sinn? Was ist die 2-Staaten-Lösung eigentlich genau? Ohne Beschäftigung mit diesen und weiteren Fragen ist jede Beurteilung oder Bewertung dieses Themas reine Spekulation oder Ideologie.

Dominiert wird die aktuelle Eskalation vom „Angriff der Hamas“, dem Selbstverteidigungsrecht Israels, dem Kampf gegen die Hisbollah mit militärischen und kriegerischen Aktionen, deren völkerrechtliche Dimension völlig verdrängt wird. Und das geschieht bis dahin, dass eine Konfliktpartei, nämlich Israel, den Generalsekretär der UN zur unerwünschten Person erklärt, die Nichtbefolgung von UN-Resolutionen bereits im Vorfeld ankündigt und sich damit letztlich selbst außerhalb der Weltgemeinschaft positioniert.

Aber zurück.

Gaza und Westbank sind besetzte Gebiete, daran gibt es völkerrechtlich keine ernstzunehmenden Zweifel. Die dort verortete Hamas ist kein Staat, kein Völkerrechtssubjekt, sondern für den Einen eine Terrororganisation, für den Anderen eine Widerstandsgruppierung gegen eine Besatzungsmacht.

Der Angriff der Hamas ist selbstverständlich rechtswidrig und mit Mitteln des Rechtsstaates zu verfolgen.

Aber: Gibt es ein völkerrechtliches Selbstverteidigungsrecht der Besatzungsmacht (Israel) gegen den Widerstand der Besetzten? Völkerrechtlich: "NEIN". Dies ist die Frage nach dem „OB“ eines Rechtes auf Anwendung militärischer Gewalt.

Daneben findet jedes Recht auf Selbstverteidigung seine Grenzen, sollten dieses in kollektiven Bestraffungsorgien oder gar Vertreibungen münden.

Dies ist die Frage nach dem „WIE“ eines Rechtes auf Anwendung militärischer Gewalt.

Wer die reinen Zahlen nimmt, abgeworfene und verschossene Munition, Anzahl und Umfang zerstörter Gebäude, Anzahl getöteter und verletzter Menschen, vornehmlich Zivilisten, Anzahl und Dauer der militärischen Angriffe, kann nur zu dem Ergebnis gelangen, dass es sich um einen Gewaltexzess handelt. Dieser wäre nicht einmal zulässig, wenn es denn überhaupt ein Recht auf Selbstverteidigung gegen ein unter Besatzung gehaltenes Volk gäbe.

Worin also liegt der tiefere Grund für dieses Vorgehen? Liegt dieser darin, dass die Konfliktparteien sich gegenseitig das Existenzrecht absprechen? Die jüngsten Äußerungen aus Regierungskreisen Israels lassen keinen anderen Schluss zu.

Und die andere Konfliktpartei? Nach vorherrschender Meinung, insbesondere in Israel, handelt es sich bei der Hamas nicht um einen Staat oder ein staatsähnliches Gebilde, sondern um eine Terrororganisation ohne jede Legitimation.

Dann aber sind militärische Angriffe eines Staates (Israel) auf fremdes Staatsgebiet (Palästina) schlicht unzulässig. Und Angriffe gegen eine fremde Bevölkerung (Palästinenser) erst recht. Und in dieser seitens der Besatzer ausgeübten Art nach den Regeln der UN-Charta eben ein Verbrechen.

Wie weit der Weltfrieden, den die UN sichern soll, in weite Ferne gerückt ist, zeigt sich daran, dass in erschreckender Entschlossenheit der Staat Israel zwischenzeitlich zur Tötung einzelner als Gefahr eingeschätzter Personen fremde Staatsangehörige in fremden Ländern militärisch exekutieren lässt; auch völlig unbeteiligte Zivilisten werden im Jemen, Libanon, Iran und in Syrien dabei getötet. Und Staaten wie die USA oder auch Deutschland sind nicht gewillt, die freiheitlich demokratische Grundordnung, hier die UN-Charta und das Völkerrecht insgesamt, vor diesem Akt der Zerstörung zu schützen.

Die Folgen dieser Zerstörung des Grundgedankens und Prinzips der UN werden unabsehbar sein.

Autor: Stefan Kohwagner, Rechtsanwalt